Liebes Archiv...Einträge vom Juli 2005

Im Umland.

Saftiges Grün wohin das Auge blickt - was für ein Unterschied! Eben noch einzig Dattelpalmen mit satter Pflanzenfarbe, nun das. Alles riecht nach Leben, alles wuchert. Die Sonne wechselt sich netterweise mit den Wolken ab und ein angenehmes Wetter entsteht. Genau richtig um auf Schusters Rappen das Berliner Umland zu durchstreifen, dort wo es immernoch verträumt auf den Kuß des berüchtigten Wessi-Prinzen wartet, der die Gegend endlich dem Milliardenpublikum erschließt. Solange genießen wir noch den morbiden Charme des alten Ostens und fühlen uns zuhause.

[] Berlin / Sonntach, 31. Juli 2005

Langer Weg ins Jetzt.

Ich sitze in der Lounge und hatte wegen der vielen normal gekleideten Menschen fast vergessen, daß ich mich noch im Königreich aufhalte - bis der Pinguin kam. Begleitet vom Herrn Gemahl im zerknitterten T-Hemd telefoniert sie und schaut sich eine Illustrierte an, den Blick verschleiert.
Das Puzzle namens Heimkommen setzt sich langsam zu einem Bild zusammen, langsam. Es ist schließlich nicht nur eine physische, sondern auch eine mentale Reise, und damit meine ich nicht die aus dem Mittelater in die Neuzeit (und doch wird jetzt nicht mehr nach der Hedschra gezählt).
Alles so intensiv heute, das kann sich der Schrägstrich die Daheimgebliebene etwa wie den letzten Urlaubstag vorstellen. Nach dem letzten Mittag, bei der letzten Fahrt von der langmonatigen Wirkungsstätte, fing es endlich an: das erste Puzzlestück. Die Sonne schien, 38°C, schön warm statt scheißwarm, wenig Sand in der Luft. Ach, daß die Jungs wieder wie die Deppen fahren, regt mich nicht auf. Ich lächle verklärt die Palme vor dem Haus an, die gelbe, die abends so schön blinkt und schon Vergangenheit ist...
Zweites Puzzlestück: Kofferpacken. Nichts zu holen hier, keine Staubfänger zu erstehen, so geht der Koffer leicht zu (und trotzdem sinds 41kg von denen 5 später extra zu zahlen sind!). Es gilt diesmal, alles so einzupacken, daß nix umherfliegt. Noch flugs unter die letzte Dusche, ist das wirklich heute, das mit dem Abflug?!?
Und tatsächlich, ich bin am Flughafen und scheißfreundlich zu den Uniformträgern - reine Vorfreude? Auch das Kofferauspacken und Durchwühlenlassen geht so viel leichter! Keine Besonderheiten beim Flug, bis auf die Koffer im Fußraum des Notausstiegs und den Pakistani neben mir, der sein Handy den Flug über angelassen hat.
In Riad popele ich zum zweiten Mal - zusammen mit den anderen Herren der Schöpfung - meinen Gürtel nach dem Metalldetektor wieder in die Hose, gemeinsames Leid, und lustig (ich hab auch keine Arthrose). Die 1600 Rial habe ich vorher großspurig abgelehnt - dafür hätte ich in die Ökonomieklasse umziehen sollen! Pah!
Bin doch gespannt, wieviele der Pinguine, die jetzt in die Lounge kommen, in Frankfurt noch Pinguine sind, alle ihre Gebieter haben das Nachthemd schließlich längst abgelegt.
Der Tag geht, aber kein Johnny Walker kommt! Halb eins wird zum Einmarsch in den Flieger geblasen und tatsächlich bald gestartet. Nach einer Weile, Puzzleteil drei, steht der Wagen mit dem Johnny wirklich neben mir, doch halt: Vergiftung droht! Ich begnüge mich mit einem Fernsehbier und es schmeckt so anders...(noch ein Puzzleteil)...dies und ein popeliges Canapeé geleiten mich in den sanften Schlaf im Full-Flat-Sitz (der knarzt und zittert, aber funktioniert...).
Die Flugbegleiterin weckt zum Frühstück, bin über dessen fehlende Opulenz einigermaßen enttäuscht. Und als ich brav aufgegessen hab, kommt se noch mit nem Krepp (ist doch schon eingedeutscht??), wer kann denn da nein sagen? Jeder, genau deswegen sag ich ja. Also rein mit dem Drexzeuch, in Kürze wird gelandet!
Bin dann einigermaßen erstaunt, daß soviele Fracktiere überlebt haben, dennoch, sie zeigen zumindest Bein! Einige sind nicht wiederzuerkennen. Sie werden sich eingewöhnen.
Und nun häng ich auf meinem eingestaubten Sofa, laß den Verkehr unten vorbeibrausen und frag mich: Wieviele Teile hat das verdammte Puzzle?

[] Berlin / Mi/Do, 27./28. Juli 2005

Käfer in Sepia.

Manche mögen es für widerwärtig halten, so schlimm ist es aber garnicht!
Der kleine Racker ist im Wadi ausgiebig zu fotografieren und freizulassen (!!). Alsdann übertrage man das Foto auf den Rechner. Gegen Murren und Stöhnen öffne man nun das Foto in einem Bildbearbeitungsprogramm und verfälsche es mit der Tintenfischfarb-Funktion. Das übrige kann man so machen wie immer. Dann abspeichern.
Diese verunstaltete Fotografie verabreiche man zuletzt dem enttäuschten Leser - Fertig.

[] Bisha / 21. Jumada II 1426 [27. Juli 2005]

Stürmischer Abschied.

Als wüßte das Wadi, daß wir uns so bald nicht wiedersehen (schnief), zeigte es sich gestern noch mal von seiner besten Seite: Nachdem ich die Fotos nachgeholt hatte, die ich wegen ausgelutschter Batterie beim letzten Spaziergang nicht machen konnte, bäumte sich eine Wolke auf und spuckte den ganzen Sand, den sie extra für mich von weit her geholt hatte, auf das Auto, aus dem ich fasziniert und dankbar zusah. Und kaum hatte ich das Fenster elektronisch ein paar Umdrehungen runtergekurbelt, krabbelten die niedlichen Sandkörner in meinen Schoß und eigentlich überall hin. Wie nett. Auch wenn es mir dementiert wurde, irgendwie scheint sich das Wetter zu verändern, hier wo es doch keine Jahreszeiten geben soll (??). Der Sandsturm wird vom leichtem Regen gefolgt, der die Wadis aber nicht beeindruckt, nichts davon bleibt. Auch ich nicht, morgen geht der Flieger, der mich in die sommerliche (?) Heimat bringen soll...also bis bald, geneigter Leser.

[] Bisha / Dienstach, 20. Jumada II 1426 [26. Juli 2005]

Am Wadi.

Ich sitze am Wadi und mit mir die Süße,
den Zähnen entbietet sie klebrige Grüße.
Nur Sand hier und Bäume, die Sonne von oben,
am Horizont seh' ich 'ne Windhose toben.

Warum ich hier sitze hat einigen Grund,
vom Stehen würd' bald mir der Rücken wund!
Doch steh' ich auf Luft, heiß verehr' ich die frische,
zuwider sind mir alle Abgasgerüche.
Auch ist es hier besser als stubenzuhocken,
von Luftkondition wird die Haut viel zu trocken!

Obgleich es den Vögeln zu warm ist zum pfeifen,
doch Ameis' und Käfer forsch über mich streifen.
Das Lüftchen ist lau, in den Sand werd' ich pissen,
kann mich ja dabei unbeobachtet wissen.
Just Staub sich erhebt, kann nur übel ich's finden,
könnt' jemand mal bitte den Sandsack zubinden?

Ich geh' nun spazieren, das Wadi besuchen,
ich fürchte, es gibt weder Kaffee noch Kuchen.
Doch jedes Bijou dieser kargen Welt
bereitwillig sich vor die Linse stellt.

Der Tag neigt zum Ende, die Sonne geht stiften,
im Dunkeln ist nicht gut durch's Wadi driften.
Das Flußbett durchmessen mit Allrad-Gewalt,
zuhause das alk-freie Bier steht schon kalt.

Zu früh ist die Straße im traurigen Blick,
wie gern würd' ich wieder ins Wadi zurück!(seufz)

[] Bisha / Montach, 19. Jumada II 1426 [25. Juli 2005]

Vorwärts immer - rückwärts nimmer?

Die Zukunft des Kapitalismus (www.zeit.de).
[...und die Geschichte geht noch weiter]

[] Bisha / Sonntach, 18. Jumada II 1426 [24. Juli 2005]

Schäume.

Es war etwas düsteres Wetter, wir waren auf dem Lande unterwegs, A und ich, braune Krume und keine Häuser, links der Straße zumindest. Wir bogen rechts in eine Art Gehöft mit ein paar Häusern ein. Irgendwie öffnete A eine Haustür und wir erklommen die schmale, steile Treppe. Oben war nur ein holzvertäfeltes Zimmer mit einer Matratze direkt an der Treppe, die bis ans Fenster reichte. Mir war etwas ungut. A stürmte auf die große Terasse, in einer Ecke stand ein Tisch mit zwei Monitoren, auf die er flugs ein Bild zauberte. Mir gefiel die Sache garnicht. Ich drängelte, was machten wir hier? Er blieb souverän. Dann ein Geräusch von unten. Die Tür! A schaltete die Monitore aus, Panik machte sich breit. Schritte auf der Treppe, kein Entkommen mehr möglich. Ich stürzte zur Matratze und quetschte mich an der Hauswandseite darunter. Die Stimmen kamen näher und jemand nahm die Matratze in Beschlag, ich kroch weiter drunter in Angst, ertappt zu werden.
Dann ging alles ganz schnell, einer plötzlichen Eingebung folgend wurschtelte ich mich aus dem Versteck - sah einen Kerl, der vor einem Baby lag, und eine junge Frau, alle auf der Matratze und ziemlich überrascht - und rief sowas wie 'Alles in Ordnung, kein Problem' oder so, machte einen Satz, die Schuhe und die weiße Strickjacke in der Hand, und polterte die Treppe runter. Raus aus dem Haus und weg. Wo war A? Ein Projektil schlug mit dem typischen Geräusch, das man aus dem Fernsehen kennt, in die efeubewachsene Wand neben mir ein. Oben auf der Terasse stand der Kerl und zielte mit seinem Luftgewehr auf mich. Ich rannte durch den schlammigen Hof davon. Argh! Die Strickjacke! Ich sah mich um, da lag sie im Matsch und es war auch schon jemand drübergefahren! Toll. Wohin jetzt? Komisch, daß mich niemand weiter verfolgte.
Und dann holte mich dieser stete Tropfen Kondenswassers doch aus dem Schlaf, der da im Zweisekundentakt auf die Blechabdeckung meiner Luftkonditionierungsanlage trommelte. Ich hatte ihn schon eine Weile gehört, in das Abenteuer aber trotzdem nicht eingebaut. Woher rührte diese verrückte Geschichte? War das Mega-Schawarma mit der leckeren Knoblauchmayonnaise vom späten gestrigen Abend schuld? Unerklärlich das. Mich drängte es, diese Ereignisse sofort niederzuschreiben. ( Wer sich hier wiedererkennt, gibt einen aus.)

[] Bisha / Freitach, 16. Jumada II 1426 [22. Juli 2005]

Ausflug ans Hauswadi.

Spaniern mag so ein Bild inzwischen auch schmerzlich bekannt vorkommen, hier ist es normal. Das Wadi ist ausgewrungen wie ein altes Handtuch, die kleinen Pfützen längst ausgetrocknet. Die losen Platten des zersprungenen Betts klappern wie ungebrannte Steinscherben, wenn man darauftritt. Und trotzdem existiert Leben hier. Langbeinige schwarze Käferchen suchen wasauchimmer, kleinere, unseren Feuerkäfern ähnliche, krabbeln an den winzigen Wildmelonen herum. Zikaden, schon etwas gerupft, springen einbeinig durch den Sand oder verstecken sich ängstlich im Strauch. Vögel zwitschern in den Bäumen. Es ist Abend, man wird wach.

[] Bisha / 15. Jumada II 1426 [21. Juli 2005]

Wohin mit dem Ständer?

Es ist wohl keine Überraschung, daß es im Mutterland (oder Vaterland?) der Muslime keine Weihnachtsbäume gibt, was sollen die auch hier? Es dominieren die Dattelpalmen, an denen jetzt die schweren Zweige mit den hunderten reifen Datteln, der Gravitation gehorchend, schlaff herunterhängen oder die ovalen Früchtchen sogar - geradezu hörig - fallen lassen. Es gibt auch keine Weihnachtszeit, keinen Advent und keinen Weihnachtskaufrausch (es gibt was anderes, Ramadan). Ebensowenig gibt es natürlich diesen Baumschmuck wie Kugeln und Lametta (und zerbrechliche Engelsfiguren von Urommas Ururomma), keine Mami die den Baum mit zarter Hand liebevoll herausputzt - wofür also ein Ständer?

[] Bisha / Donnerstach, 15. Jumada II 1426 [21. Juli 2005]

Taifun über Cancun.

...ja, das reimt sich prächtig! Aber wie wir Profi-Meteorologen wissen, ist das unrichtig, denn Taifune toben über Taiwan und so, wohingegen der Karibik ja Hurrikane das Leben schwer machen. Also ein Hurrikan über Cancun. Auch nicht schlecht.
Aber es soll auch Beschwerden geben, beispielsweise von überraschten Urlaubern. Dabei waren die Stürme doch zuerst da! Um einiges länger als es schreckliche Fernsehbilder gibt, trieben diese lustigen Verwandten der Windhose schon ihr Unwesen auf diesen Anwesen. Was bilden "wir" uns also ein?? Warum müssen sich diese unmöglichen Menschen gerade da rumtreiben?
Das kann jeder verstehen, in dessen trister Wohnung ein großformatiges, schon leicht ins pastellige verblichene Poster eines traumhaften Palmenstrands die große Wand im Flur ziert. Wer sehnt sich an einem verregneten Wintertag nicht nach den weißen Gestaden der Karibik (Hände hoch - Lügner!)? Und herrscht dort nicht ewiger Sonnenschein? Voll geil das! Rein in den Liegestuhl, das kühle Bier Schrägstrich den Cubra Liebe angesetzt und die Melanome wachsen lassen - ist das nicht das ewige Streben des käseweißes Mitteleuropäers?
Ein tödliches Paradies. Natürlich hat man als stolzer AI-Reisender null Verständnis für jede irgendwie geartete Störung der Urlaubsruhe! Wie auch! Schließlich war DAS nicht gebucht - oder? (Guck noch ma nach, Erwin, stand da DZ mit VP und Meerblick oder fensterlose Turnhalle mit Jemeinschaftsnachttopp?? Und der Wind - hatten mir diesen schrecklischen Wind jebucht, sach mal?) Jaja, an solche Details kann man sich als vorbildlicher Frühbucher schon nicht mehr erinnern! Und wer konnte wissen, daß es außerhalb Bottrops auch Jahreszeiten gibt? Hin sind die preisgünstigen (warum eigentlich...? hehe) zwei Wochen! Dat jibt Ärjer!

[] Bisha / Mittwoch, 14. Jumada II 1426 [20. Juli 2005]

'Main Track'

Um auf einem 'Hauptweg' von A nach A+ oder gar B zu kommen, beschleunige deinen Heb-Auf (engl. Pick-up) auf etwa 80km/h, um auf den Spitzen der kurzen Buckel durch die Wüste zu fliegen. Eine lustige Staubfahne wird am Arsch deines Auto kleben und meilenweit sichtbar sein. Für den Fall, daß du anhalten und aussteigen möchtest, warte bis die träge Staubfahne sich darniedergelegt hat.
Wahrscheinlich ist dein Fahrziel sowieso über das gut ausgebaute Straßennetz erreichbar, kannst Dir den Dreck also sparen. Dann halte dich schön rechts um die jungen Burschen in ihren tollen Heb-Aufs passieren zu lassen.

[] Bisha / 12. Jumada II 1426 [18. Juli 2005]

Es kommt gaanz dicke.

Wir sterben aus. Die Pyramide steht kopf, "Männer die es ohne Kondom machen wollen sind nicht sehr beliebt!", weiß das Schweizer Fernsehen. Die Urbanisierung hat auch schon ganze Landstriche entmenscht, die neuen Städter passen sich an - Gummistiefel aus, Gummimütze auf. Wir alle sind nun also metrosexuell, müssen uns selbst verwirklichen, erst mal an uns denken, wollen den hart erarbeiteten Status nicht aufgeben, haben keine Zeit, kein Geld... Das sind die Zeichen, die - an die Mauer der Geschichte gesprüht - zukünftigen Historikern erklären werden, warum der Kontinent schließlich aufgegeben wurde.
Doch halt! Wir werden weniger, dafür aber älter! Endlich in Rente, entdecken die kinderarmen Industrielandbewohner das lange Leben wieder und finden zu echter Nahrung zurück. Seit ein paar Schlingel, die es faustdick hinter den Ohren und eigentlich überall haben, sich (angestachelt von sogenannten Ernährungswissenschaftlern) mit Herstellern von schnell konsumierten Lebensmitteln anlegen, bis auch die Politik eingreift, ziehen die Kotzekocher weiter nach Osten, wo noch was zu holen ist.
Und die Menschen dort, denen das Kindermachen bisher angeblich nicht vergangen ist (weil es Papst oder Religion nicht erlauben??), sind dann doch sehr aufnahmefähig: kleine Indonesier wollen ihre mie nicht mehr essen, junge Filipinos verschmähen ihre pansit (und stecken andere damit an!), heranwachsende Inder und flüggewerdende Chinesen stehen nicht mehr auf Reis von morgens bis abends, auch Mexikanerchen haben genug von Böhnchen - sie alle wissen wo gut is - von Fernsehn!
Aber wo soll das hinführen? Ein paar Ewigmorgige scheinen zu glauben, daß wir überrannt werden von den neuzeitlichen Hunnen. Werden sie uns nicht stattdessen überrollen? Nein, sie werden mit den neuen A380 einreisen - mit breiteren Türen und nur 250 Sitzen doppelter Breite. Mahlzeit. Die Zukunft muß wohl umgeschrieben werden...

[] Bisha / Samstach, 10. Jumada II 1426 [16. Juli 05]

Gibt es ein Leben ohne Handy?

Schiere Verzweiflung in den verweinten Augen, den Blick starr auf das zerschmetterte Hendi gerichtet - wie tief bereute sie den aggressiven Impuls, der doch gegen ihren unartigen Freund und nicht das geliebte Hanndy gerichtet war... Mit der bloßen Hand versuchte sie nun hektisch, die Scherben ihres Lieblings zusammenzukehren, die Aussichtslosigkeit erkennend, begann sie plötzlich, sich die Haare zu raufen, die Bluse zu zerreißen und wild gestikulierend erschrockene Passanten anzuschreien. Nach ein paar Minuten sank sie erschöpft zu Boden und fing an, bitterlich zu schluchzen...
Solche oder ähnliche Szenen spielen sich tagtäglich vor unserer Haustür ab, und man fragt sich: Ist ein Leben ohne Handie möglich? Wenn ja, wielange?

Die Erforschung der Folgen des Händi-Entzugs steckt noch in ihren viel zu kleinen Kinderschuhen, denn niemand kauft ihr neue!
"In den seltensten Fällen wird heute die wirkliche Ursache von Tobsucht, Jähzorn, Hyperaktivität, Bulimie, Autismus, Nymphomanie, Alopezie, gestörter Haptik, zwanghafter zwischenmenschlicher Kommunikation, Schizophrenie und Trigonometrie diagnostiziert: Vitamin-H-Mangel, im Volksmund auch "Trockener Haenndi-Entzug" genannt. Bei gleichzeitiger psychischer Instabilität, Geltungssucht und Langeweile, gepaart mit Labermanie und Horchsucht, können sich die Symptome erheblich verstärken. Ist es unmöglich, den Betroffenen wieder an das Medium heranzuführen, muß mit ernsthaften Langzeitfolgen gerechnet werden.

Um die Schwere der Auswirkungen des Entzugs richtig einzuschätzen, sollten Verhaltensauffälligkeiten Betroffener in typischen Alltagssituationen beobachtet werden, beispielsweise:

- Reaktion auf Nicht-Erreichbarkeit im Kino, auf dem Klo, in der Mathestunde
- Verhalten in sterbenslangweiligen Meetings
- Verhalten bei aktiver Teilnahme am Straßenverkehr
- Konzentrationsfähigkeit auf ein Gespräch ohne audiovisuelle Ablenkung
- Reaktion auf Festnetztelefone (Festnetzallergie?)
- Verhalten bei Konfrontation mit einem telefonierenden Haendy-Benutzer
- Reaktion beim Passieren eines H@ndy-Ladens
- Reaktion auf die Frage "Was, du hast kein Häändy?"
- Ersatzhandlungen zur Erregung von Aufmerksamkeit
- Erinnerung an Mamis vergessenen Geburtstag
- Aktuell: Islamische Scheidung ohne die 3 SMSen „Ich verstoße dich“

Repräsentative Untersuchungen und Analyse der dabei gewonnenen Erkenntnisse dürften erst nach Jahren für die Erarbeitung wirksamer Therapien und Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Betroffenen sollte daher nicht mit Ausgrenzung, sondern Integration und Verständnis begegnet werden." (Calauer Medizinjournal, Ausgabe Juli 2005)

Bis zum Sommer anno 2001 hatte mich das Thema nur indirekt betroffen, da ich mich wohlweislich über Hendy-Generationen hinweg mit Händen und Füßen gewehrt hatte, zur Handi-Generation zu gehören. Ha! Ich brauchte kein Tamagochi!
In diesem unheilschwangeren Sommer also, heiß war's, damals auf den Philippinen, brach ich heraus aus dem Kreis der Ewiggestrigen, der Cainophoben und retardierten Technikverweigerer, und stürzte kopfüber in die 'Always On'-Gesellschaft. Mein erstes Hännndy! Kommunikation auf Knopfdruck! Auch ich konnte mich nun dem bösenZauber dieses schwarzglänzenden Dings nicht mehr entziehen. Gaanz langsamSchnell, viel zu schnell erschloß sich mir die Nervigkeitverdammte Unentbehrlichkeit dieses neumodischen Spielzeugs! Der KND (wenigen Eingeweihten auch unter SMS bekannt) war schuld! Mit latenter MaulfaulheitFingerfertigkeit geschlagensegnet, riskiere ich auch heute noch gern eine komplizierte Daumenfraktur statt eines mikrowellengargekochten Hirns. Sei's drum.
Jahrelang also nahm ich das kleine Tamagochi, wenn es brummte, in den Arm und kitzelte die Nachrichten aus ihm heraus. Es bekam Nachwuchs und ich musste die Evolutionsstufe des multi-tasking-fähigen Sapiens erklimmen, diese Spezialisierung allerdings erhöhte die Gefahr dualer Daumenfrakturen erheblich. Doch das Muttertier wurde altersschwach und krank und siechtliegt jetzt lieber in der Schublade als sich mit dem anderen in der Tasche zu reiben. Und plötzloch, hier im Urlaub in der Sonne, hat das Kleine die Nestflucht gepackt! Schwupp, hat's Beine bekommen und is weggerannt! Aber ich war tapfer und hab' nicht geweint! Gefahr im Verzug, könnte man meinen, aber die Rettung, das dritte Henndi, liegt hier vor mir auf dem Tisch, always on und fertig zum Hacken. Keine unmittelbare Gefahr für meine Psyche also.

[] Bisha / Mittwoch, 07. Jumada II 1426 [13. Juli 05]

Der Strauch und die Wanderdüne.

"Halte ein, oh herrliche Düne, die du wanderst ohn' Unterlaß und verschone mich unwürdigen Strauch vor dem gar grausigen Tode der Suffokation! Erbarmen!", wimmerte der unwürdige Strauch, der doch bereits vom Schöpfer allen Lebens in seiner unendlichen Weisheit dem Vergehen geweiht und in drei Richtungen umschlossen ward. "Wer bist du, daß du mich stören darfst in meinem Lauf, mich, der sich nichts in den Weg stellt ohne jämmerlich unterzugehen? Du wagst es?!", donnerte die Düne und walzte gar schauerlich lachend über den Grünling hinweg. Allah ist groß.

[] Bisha / 06. Jumada II 1426 [12. Juli 2005]

Zitat.

"An einem Lebensmittel, was beworben werden muß, kann nichts dran sein.“
(ARTE, Interview mit Michael Rudolf, Buchautor, zum Thema Fernsehbiere)

[] Bisha / Sonntach, 05. Jumada II 1426 [11. Juli 05]

Flaschenliebe.

"Wie romantisch", haucht sie. "Ja", erwidert er und sein Blick gleitet dabei versonnen über ihre unverhüllten, nach all der Zeit immer noch scharfen Kurven, in denen die letzten Sonnenstrahlen glitzern. Er möchte ihr am liebsten in den makellosen Hals beißen. 'So oft herumgereicht, doch jetzt gibt's nur noch uns zwei!' denkt er und grinst zufrieden. Eiskalt hatte sie ihn abblitzen lassen, doch er hatte sie aufgetaut! Er hatte sie durchschaut! 'Noch einmal jung sein!', eine glasige Leere bemächtigt sich plötzlich seiner und er kann einen Stoßseufzer nicht unterdrücken. "Ach, noch einmal jung sein", flüstert sie mit verklärtem Lächeln. Sein Blick wird hart, stumpfe Wut flackert in ihm auf, 'ja, nochmal scheißjung sein! Kein Umherstoßen! Kein Herumschütteln! Von niemandem die Mütze vom Kopp hauen lassen! Pah! Und ihr nochmal zeigen was in mir steckt...' Doch seine Wut versandet schnell, wie jeden Abend. "Ach ja", schnauft er zerknirscht. Reglos liegen sie beieinander während die Sonne gelb hinter dem Wadi versinkt. Der Wind entlockt ihnen ein paar unanständige Geräusche, doch sie sind allein, nur das Wadi hört zu. Der Sand, ihr gemeinsamer Urahn, bettet sie behutsam zur Nacht.

[] Bisha / 03. Jumada II 1426 [09. Juli 2005]

Hand ab! sagt die Scharia.

Eigentlich sollte sich in den Jahren auch bis in dieses Kaff herumgesprochen haben, was die islamische Gesetzgebung für Diebstahl vorsieht. Das hat einen kleinen Melonenverkäufer dennoch nicht abgehalten, mein mobiles Telefon zu mopsen. Das beweist, man sollte seinen gesunden Menschenverstand auch dort nicht abschalten, wo man vor den Widrigkeiten der Zivilgesellschaft geschützt zu sein glaubt.

[] Bisha / Freitach, 02. Jumada II 1426 [08. Juli 2005]

Der alltägliche Waaahnsinn.

Der stetig wachsende lokale Markt für Autos jedweden Modells hat sich mit Sicherheit bis zu den Importeuren herumgesprochen die vom ständigen Händereiben mit großflächige Schwielen gesegnet sein sollten. Heb-Aufs (geä.), sogenannte Pick-ups, werden, bevorzugt in weiß, besonders gern gefahren. Erst heute morgen konnten wir ein geparktes Exemplar bedauern, das nach einem - höchstwahrscheinlich unfreiwillig durchlebten - negativen Beschleunigungsereignis durch Kontakt mit einem bereits entfleuchtes Hindernis schmollend am Straßenrand stand, die metallene Unterlippe weit über die Oberlippe gezogen, die Scheinwerferaugen ausgeschlagen, bar jeder Träne, die Körperflüssigkeiten weit über die Straße verspritzt. Auch solch ein Heb-Auf hat ein Leben, das allerdings währt hierzulande nur kurz.
Die Friedhöfe, auf denen ausgeraubte, entstellte Skelette des Zu-Staub-Werdens harren, sind so ungezählt wie die einzelnen weidwund geschlagenen, gehäuteten, ausgeweideten und unbegraben am Straßenrand zurückgelassenen Exemplare, die immerwieder an die viel zu kurze Übergangsphase von der Kamel- und Eselreiterei zur rollenden Pferdestärke gemahnen.

[] Bisha / 29. Jumada I 1426 [06. Juli 2005]

Anfällig.

Auch wenn mein leidensfähiger Kollege es abstreitet: Da wird man doch wahnsinnig! Wenn auch nur ganz kurz, bis man sich wieder unter Kontrolle hat.
Aber mal der Reihe nach. Es fing schleichend an, vor ein paar Wochen (das genaue Datum ist nicht überliefert). Mein Wecker steht seit langem auf Punkt 7 (in Worten sieben) Uhr, eine penibel berechnete Zeit, die Zeit, um ihn auszudrücken und nochmal intensiv darüber nachzudenken, entweder in zehn oder in zwölf Minuten aufzustehen. Dieser peinlich genau berechnete Ablauf ist aus den Fugen geraten. Seit dem oben genannten, nicht überlieferten Datum überschreitet die Zeit zum Nachdenken regelmäßig diese zwölf Minuten, mit der Folge, daß ich das Aufstehen verpasse weil ich so tief im Grübeln versunken bin (Quantenphysik und Nanatechnologie etc.). Erst um halb acht schrecke ich hoch (automatische Aktivierung des sogenannten Reality Checks) und springe gekonnt aus dem Bett (immer mit dem rechten Bein). Es folgen eine stark zeitoptimierte Körperhygiene und straff organisiertes Packen, verbunden mit sich im Sekundentakt wiederholenden heftigen Nachdenken was ich vergessen haben möge.
Und schneller als ich mit vibrierender Zahnbürste im Mund Ekliges alkoholfreies Bier mit Erdbeergeschmack sagen kann, sind die - zugegeben recht knapp kalkulierten - fünf Minuten um. Licht aus, Messer raus, die Treppenstufen in exakt abgeschätzten, rehgleichen Sprüngen überwunden - tada! Ein freundliches "Assalaamu Aleikum" an unsere emsigen Hotelangestellten und wacker der Gefahr in ihr tränendes Auge geschaut! Der stechende Blick des wartenden Kollegen verunsichert mich und zwingt mich auf eine witzige Bemerkung auszuweichen ('Mahlzeit' wirkt manchmal recht auflockernd). Weitere scherzhafte Entschuldigungen murmelnd steige ich ins Auto und lenke mit einem Gespräch übers Wetter von der Situation ab, bis sie überwunden scheint und erst am nächsten Tag aufs Neue meiner harrt.

[] Bisha / Dienstach, 28. Jumada I 1426 [05. Juli 2005]

Endlich Feierabend.

Der Wind weht uns den wüsten Staub durch alle Ritzen in unseren tapferen Container und stapelt ihn auf dem Schreibtisch, auf dem Telefon, dem Läpptopp, den bunten Zeitschriften und Papieren, der Teetasse, einfach überall. Alles ist Staub. Ich hab' den ganzen Tag lang erklärt wie man unser Baby behandelt, schlaue und dumme und sich wiederholende Fragen beantwortet. Die Augen sind müde und ausgetrocknet von der Luftkonditionierungsanlage, die Stimme ist auch betroffen und schwach vom vielen Sabbeln, ich geh' nach Hause jetzt.
Atschöö!

[] Bisha / Sonntach, 26. Jumada I 1426 [03. Juli 2005]

Endlich Wochenende zu Ende.

Jaja, denkt Ihr Euch, hat doch erscht angefangen, das WE, aber nein! Der gewitzte Einfall eines Herrn Mohammed macht es möglich, daß in diesem Teil der Welt trotz nur einer Stunde Zeitverschiebung das Wochenende um zwei Tage nach vorn verschoben ist! Aber das wißt Ihr ja schon.
Warum also endlich Ende? Könnt Ihr Euch vorstellen, wie schwer es ist, an jedem Wochenende zwei Tagestouren zu finden, die interessante Erlebnisse erwarten lassen?! Am Donnerstag wollten wir mal wieder unser Haus-Wadi besuchen, es mal in südlicher Richtung erforschen, und obwohl es doch so breit und lang (aber unbeschildert) ist, waren wir nie ganz sicher ob wir es nun unter den Reifen hatten oder nicht. Schlußendlich erklommen wir einen Berg und genossen die Aussicht auf, ja was, die Umgebung. Am Freitag summierte sich der Weg auf 500 Kilometer, um mal was anderes zu Gesicht zu bekommen als Sand und Felsen (Nebel und Felsen). Wie soll es erst am nächsten Wochenende werden??

[] Bisha / Samstach, 25. Jumada I 1426 [02. Juli 05]

Das Wadi lebt.

Man nehme: ein Wadi, plaziere es im westlichen Saudi-Arabien, im Gebirge zwischen Rotem Meer und toter Wüste, dort, wo sich die Wolken, die keinen Bock auf Wüste haben, abregnen. Dann lasse man das Wadi bei Temperaturen unter 30°C ein paar Melonen Jahre ziehen, fertig ist das Biotop.
Nach Geschmack füge man später genügend homo saudi hinzu, welche das Wadi mit dem unbedingt nötigen Müll (Getränkedosen, Öldosen, Autoreifen, Flaschen, Lumpen, Plastiktüten etc.) versorgen, um den dort lebenden Pavianen die Zeit etwas zu verkürzen. Eventuell auftretende Libellenpopulationen sollten hierbei billigend inkauf genommen werden.

[] Bisha / 24. Jumada I 1426 [01. Juli 2005]

Ein wichtiger Tag.

Freitag. Ein gewisser Herr Gerd fällt durch die Vertrauensprüfung. Ein Herr Horst, seit einem Jahr in seinem hohen Amt, steht vor einer schweren Aufgabe, die ihm der oben genannte Herr Gerd aufgedrängt hat. Ein Herr Tony übernimmt die Präsidentschaft der Europäischen Union.
Und meine Mama hat ihren Ehrentag! Glückwunsch zum Geburtstag aus der Ferne!

[] Bisha / Freitach, 24. Jumada I 1426 [01. Juli 05]

...und hier geht's zum alten Plunder vom Juni.